In memoriam: WZ-Artikel über Claude

Bericht aus der Wertheimer Zeitung anlässlich seines 90. Geburtstages im Jahr 2021 (veröffentlicht am 31.08.2021)

»Ich wer­de 90, und so lang­sam geht`s ber­g­ab«, be­grüßt Clau­de Be­vot sei­nen Ge­spräch­s­part­ner. Doch im Ver­lauf des In­ter­views mit un­se­rem Me­di­en­haus stellt sich her­aus, dass die­ser Satz nur Un­d­er­sa­te­ment war, denn der Sta­ti­ker, ge­lern­te Gärt­ner, Fa­mi­li­en­va­ter und Ju­gend­trai­ner ist flap­sig aus­ge­drückt, im­mer noch »fit wie ein Turn­schuh« und das nicht nur kör­per­lich, son­dern auch geis­tig.

Sein Leben ist alles andere als »normal« und verläuft nicht wirklich schnörkellos. Aber, und dafür ist der Jubilar das beste Beispiel, »wenn man fleißig ist, dann kann man alles erreichen«, ist er überzeugt. Geboren im französischen Reims, als Kind einer deutschen Mutter und eines französischen Vaters, kam er zusammen mit seinen Geschwistern 1942 nach Deutschland. »Ich habe zwar Deutsch verstanden, aber konnte kaum etwas sprechen und deshalb wurde ich mit elf Jahren in die erste Klasse Volksschule zurückversetzt«, erinnert sich der 90-Jährige. »Das war aber gar nicht so schlecht, denn ich war dadurch größer als meine Mitschüler und konnte mich erwehren, wenn sie dem 'Erbfeind' eine Abreibung verpassen wollten.« Von den Älteren musste er sich ständig anhören: »Da kommt der Franzos', mit der roten Hos' und der blauen Jack', kriegt er eine auf die Back' «, und bekam dann natürlich die angekündigte Backpfeife.

 

Zunächst kein Schulabschluss

»Ich habe keinen Schulabschluss, und trotzdem ist etwas aus mir geworden«, sagt der Jubilar, der am Ende der fünften Klasse aus der Volksschule entlassen wurde. Weil es mit der von ihm gewünschten Ausbildung zum Elektriker nicht klappte, absolvierte er zunächst eine Gärtnerlehre und arbeitet danach einige Monate in einer großen Gärtnerei in Stuttgart. 70 Wochenarbeitsstunden, Sonn- und Feiertagsdienst und kein Urlaub, sind Rahmenbedingungen, die sich heute kein Arbeitnehmer mehr vorstellen kann. Da sei die Arbeit in der Bestenheider Gießerei Hofmann in Wertheim, wo er relativ schnell hin wechselte, doch um einiges besser gewesen.

Noch besser war die Stelle im Betonwerk in Wertheim, weil er dort nach relativ kurzer Zeit als Hilfsarbeiter ins Büro versetzt wurde, um Lieferscheine zu schreiben. Zudem kam er dabei zum ersten Mal mit dem Bereich Statik in Berührung, denn er sollte die statischen Berechnungen des Chefs für Betondecken zur Sicherheit mit dem Rechenschieber nachrechnen.

Doch Bevot war ehrgeizig und wollte noch mehr erreichen, weshalb er versuchte, an der Ingenieurschule in Darmstadt unterzukommen, was ihm auch gelang, nachdem er erfolgreich zwei Vorsemester absolvierte und sie jeweils mit einer Prüfung abschloss. Hilfreich war dabei sicher, dass er bereits in Wertheim Nachhilfe in Mathematik nahm und einen Fernlehrgang für angehende Statiker machte.

Studium selbst finanziert

Das Studium finanzierte er sich durch statische Berechnungen für das Betonwerk, die er abends und am Wochenende erledigte und per Eilboten nach Wertheim schickte. Ergänzend zur Ingenieurschule hörte er Vorlesungen an der TH Darmstadt und bestand 1963, im Alter von 32 Jahren, die Abschlussprüfung, so dass er sich fortan Diplomingenieur nennen durfte, wie das Abschlussdiplom bescheinigt. Nach einem einjährigen Intermezzo in einem Architektenbüro in Bestenheid eröffnete er ein eigenes Büro im Hofgarten, das sich blendend entwickelte. Zeitweise beschäftigte er vier Festangestellte und zusätzlich einige Freiberufler, die er je nach Bedarf mit Aufträgen bedachte.

Auch privat wendet sich vieles zum Besten, denn mit der Sonderschul-Oberlehrerin Hildburg »Hille« Heinze fand er seine »Traumfrau«, mit der er drei eigene und ein adoptiertes Kind bekam, die ihn inzwischen zum vierfachen Großvater gemacht haben. »Ich habe mich immer wieder gefragt warum diese tolle Frau sich für mich entschieden hat«, erklärt Bevot mit einem Schmunzeln, und es tut ihm noch heute weh, dass sie bereits vor 20 Jahren im Alter von nur 54 Jahren gestorben ist.

 

Neben Arbeit und Familie engagierte sich Bevot auch ehrenamtlich. Als Betreuer von ungezählten Jugendfußballmannschaft formte er Generationen von Fußballern des FC Eichel. Für sein unermüdliches Engagement und seine Verdienste wurde Bevot 2001 zum Ehrenmitglied ernannt. »Ich würde alles wieder so machen«, sagt er und ist zufrieden mit seinem Leben: »Ich habe keine Sorgen und alles, was ich brauche. Ich könnte gut und gerne noch 20 Jahre so weiter leben«, meint er abschließend.

 

https://www.main-echo.de/regional/kreis-main-tauber/auch-mit-90-jahren-noch-fit-wie-ein-turnschuh-art-7367280

 

 

 

Bericht aus der Wertheimer Zeitung anlässlich seines 80. Geburtstages im Jahr 2011 (veröffentlicht am 20.08.2011)

Was soll aus unseren jungen Leuten werden?

Sommerserie: Claude Bevot, Deutscher und Franzose, Gärtner und Statiker, Familienvater und Jugendtrainer, macht sich Sorgen um die Zukunft

»Ich bin ja kein Streber, aber von nichts kommt nichts«, so spricht Claude Bevot, der Deutsche. »Meine Lebensauffassung ist eher ›Laissez faire‹, bei mir kann alles ein Provisorium sein, wenn es nur funktioniert«, so spricht Claude Bevot, der Franzose.

 

Sein Herz schlägt im Gleichtakt deutsch und französisch, nach wie vor lebt er in beiden Welten - nur rechnen, das tut der studierte Baustatiker und Zahlenmensch allein auf Französisch.
So hat es auch sein Vater Leon gehalten, er ist die französische Seite von Claude Bevot. Margarethe Seegner, die Mutter seiner deutschen Mutter Mathilde, stammte aus der Wertheimer Fischergasse und war tief mit der Stadt und den Menschen verbunden. Für die Mutter wurde aus »Claude« später »Klaus«.
Das Leben zwischen den deutschen und französischen Lebenswirklichkeiten hat ihn zu dem gemacht, was er ist: Ein zäher und streitbarer Charakter, aber auch ein sehr fleißiger Bonvivant mit einem großen Herzen für die Jugend. Generationen von Fußballern sind beim FC Eichel durch seine fordernde Schule gegangen.

Dass einer ausgerechnet 1942 aus Frankreich nach Deutschland kommt, das ist schon ungewöhnlich, habe aber in seinem Fall nichts mit Politik zu tun, sagt Bevot. »Wir hatten ein gutes Leben in Frankreich.« Vater Leon sei ein universell begabter Mann mit Forscherdrang gewesen, schönes Gehalt, schönes Auto, schönes Haus »mit Garten und Hühnern«. »Als Reims 1939 evakuiert werden musste, sind wir mit dem Auto in den Süden gefahren, gerade so, als wären Ferien.«
Unbeschwert war die Zeit, nur sei Mutter Mathilde nie so recht warm mit Frankreich geworden, habe nicht wirklich gut Französisch sprechen können und schlichtweg Heimweh gehabt. Da der elsässische Vater zweisprachig war und ihm eine anspruchsvolle Arbeit in Gelsenkirchen angeboten worden war, seien sie übergesiedelt, sagt Bevot. Mit dem leichten Leben war es von Stund an für ihn erst einmal vorbei: »Ich sprach kein Wort Deutsch und wurde deswegen mit elfeinhalb Jahren in die erste Klasse Volksschule zurückgestuft.« Französisch zu sprechen, sei bei Strafe verboten gewesen, und die Lehrerin sei überzeugte Nationalsozialistin gewesen.

»Ohne sie wüsste ich heute noch nicht, wann Sewastopol gefallen ist«, sagt Bevot. Jeden Morgen habe die Dame Appell gehalten und die Kriegsnachrichten bekanntgegeben. An jenem Tag, da Sewastopol gefallen war, sollte die Klasse das Deutschlandlied singen. »Den Arm habe ich ordentlich gestreckt, aber das deutsche Lied habe ich nicht singen können. Dafür gab es eine saftige Ohrfeige - deswegen die Sache mit Sewastopol.« Das Deutschlandlied habe er vorsichtshalber gleich hinterher auswendig gelernt, »wegen der Ohrfeige«, erinnert sich Bevot.

Nachdem das Haus in Gelsenkirchen einer Fliegerbombe zum Opfer gefallen war, kam die Familie - zunächst ohne den Vater - nach Wertheim. In der Schule gab es hier ein Fräulein Riepe: »Die hat zwar keine Ohrfeigen verteilt, kannte aber die Kollegin aus Gelsenkirchen persönlich - die Welt ist klein. Hier haben wir dann bei Tante Anna in der Hämmelsgasse gewohnt, damals hieß die jedoch Robert-Wagner Straße, nach einer bekannten Nazi-Größe, dem Gauleiter von Baden. Oma, Mama, Bruder und ich zusammen in einem Zimmer! Wir haben da gelebt, gekocht, gegessen, geschlafen - es war eine wunderschöne Zeit. Meine Fußballer glauben mir das heute gar nicht mehr, wenn ich davon erzähle. Die sind alle so anspruchsvoll.«

Er macht sich Sorgen um diese Entwicklung: »Wenn ich heute auf den Platz komme, dann will jeder einen eigenen Ball, wir haben damals bei SG-Platzwart Karl Schwanz einen Ball regelrecht erbettelt - da war Holzwolle drin! Das Trikot war ein von den Amerikanern geschenktes und gefärbtes Unterhemd - natürlich viel zu groß.«

Die Fußballschuhe seien ausgemusterte Laufschuhe des späteren Stadtrates und Ehrenbürgers Gerhard Schwend gewesen: »Ich habe da die Spikes abgefeilt, und wir haben stattdessen Lederriemen quer zur Sohle angenäht. Diese ›Fußballschuhe‹ haben wir uns dann noch lange gegenseitig ausgeliehen.«

Damals habe man sich noch selbst kümmern müssen, sagt Bevot. Heute sei das alles anders, die jungen Leute bekämen wenig Verantwortung übertragen, hätten folglich nur wenig Erfolgserlebnisse und seien deswegen oftmals erschreckend unmotiviert, unselbstständig und lustlos. Zum Teil seien es Wohlstandsprobleme, schuld seien vielleicht manchmal auch die Eltern, die es ihren Kindern zu leicht machten: »Die Jugendlichen müssen zu Hause ja nichts mehr tun.« Die Manieren ließen oftmals auch zu wünschen übrig: »Viele können nicht einmal gerade am Tisch sitzen, und trotzdem haben sie alles: Handy, Computer … Ich frage meine Fußballer immer, wie lange sie vor dem Computer oder dem Fernseher sitzen und wie viel Zeit sie auf die Hausaufgaben verwenden. Den jungen Leuten fehlen der Anreiz und die Struktur.«

Keinesfalls wolle er den Gestrigen das Wort reden, aber die Anreize zur Leistung fehlten: »Das kann so nicht gutgehen«, sagt Bevot. Die Schule leiste leider auch nicht mehr das, was die Kinder brauchten: »Wir stehen ja heutzutage auf dem Standpunkt, die Kinder müssten so lange spielen wie irgend möglich - aber das ist falsch. Als ich aus dem Kindergarten kam, da konnte ich bereits lesen.« Man solle den Kindern mehr zutrauen und werde sehen, dass sie Spaß daran hätten. Seine Schule in Reims stehe noch heute wie vor über 70 Jahren: »Ein langer Block, vorn die École maternelle (Kindergarten), dann die Volksschule und am Ende das Lycée (Gymnasium). Begonnen hat der Unterricht morgens um acht, dann Mittagessen, mehr Unterricht und ab 16 Uhr betreute Hausaufgabenzeit.« Da falle keiner durch das Netz, sagt Bevot: »Und die Mütter können arbeiten gehen, ohne sich Sorgen um die Kinder machen zu müssen«.

»Wissen Sie, dass es in Deutschland 56 Schularten gibt? Zu viele Reformen und Reförmchen, ein Drunter und Drüber, der rote Faden fehlt einfach.« Bevot hat mit seiner Frau Hille, sie war Lehrerin, drei eigene und ein adoptiertes Kind: »Schule war bei uns immer ein Thema«. Eigentlich könne es ihm ja egal sein, er sei ein alter Mann: »Aber was soll aus unseren jungen Leuten werden?«

»Wenn man fleißig ist, dann geht’s«, sagt Claude Bevot. Der Blick auf seinen eigenen beschwerlichen Bildungsweg zeigt, dass er weiß, wovon er spricht.

Geboren wurde er 1931 im französischen Reims, wo er zum Kindergarten und in die Grundschule ging. Nach seiner Ankunft in Deutschland 1942 wurde er ohne Deutschkenntnisse in die erste Volksschulklasse zurückgestuft und verließ die Schule am Ende der fünften Klasse ohne Abschluss. Die Wunschlehre bei einem Elektrofachhändler war ihm verwehrt geblieben, stattdessen musste er eine ungeliebte Gärtnerlehre absolvieren, die er mit der Gesellenprüfung abschloss. Dann fing er in einer großen Gärtnerei nahe Stuttgart an - 70 Wochenarbeitsstunden, Sonntags- und Feiertagsdienst und kein Urlaub.

»Der Job gefällt mir schon besser«, dachte er über die anschließende Arbeit in der Bestenheider Gießerei Hofmann, die Gussformen für die Industrie herstellte. Der Chef hatte leider, wie sich später zeigte, keine Meisterprüfung und konnte keine Gesellen ausbilden, eine Sache ohne Zukunft.
Vom Lohn kaufte Bevor ein Fahrrad. Während einer Radtour über sämtliche Alpenpässe reifte der Entschluss, es im Wertheimer Betonwerk zu versuchen. Für 40 Pfennig kratzte er dort Betonreste aus den Schalungen.

Dann fiel seinen Arbeitgebern auf, dass er nicht beim Glockenschlag den buchstäblichen Hammer fallen ließ: »Das mache ich erst noch fertig, und dann mache ich Pause.« Zunächst für organisatorische Aufgaben holte man ihn ins Büro des Betonwerkes: »Ich habe dort mit 21 Jahren mein erstes Telefongespräch geführt.«

Bevot war ehrgeizig, zeigte Interesse für Deckenkonstruktionen, Verlegepläne und Zeichnungen und wurde bald mit ersten Aufgaben dieser Art betraut. Bei einem Statiker unternahm er erste Schritte mit dem Rechenschieber und rechnete dessen Arbeiten zur Sicherheit nach.

Aus eigenem Antrieb absolvierte Bevot parallel einen Fernlehrgang für angehende Statiker und nahm gleichzeitig, ebenfalls privat finanziert, Nachhilfe in Mathematik. Über einen Freund hörte er von der Darmstädter Ingenieurschule, an der er sich bewarb. »Eigentlich hatte ich keine Chance, da mir ja jegliche Einstiegsvoraussetzung fehlte, trotzdem bin ich hingegangen und habe es versucht«. Sämtliche Zeugnisse und Bescheinigungen habe er vorgelegt und so das Interesse des Rektors gewonnen: »Du bist ja ein später Junge, da wollen wir mal sehen, was wir machen können.« Eine außerordentliche Aufnahmeprüfung wurde anberaumt, bei der Bevot durch eine gute, selbst angelesene Allgemeinbildung glänzen konnte. Er wurde für ein erstes Vorsemester akzeptiert.

Um sich das Studium leisten zu können, ging die Arbeit im Betonwerk weiter. Abends und an den Wochenenden fertigte Bevot die Berechnungen für Betondecken und schickte diese sonntags per Eilboten nach Wertheim. Parallel belegte er an der TH in Darmstadt - für die er keine Zulassung hatte - privat bezahlte Kurse in Massivbau, Statik und Mathematik.

1963 bestand Bevot mit 32 Jahren die Abschlussprüfung zum Statiker und eröffnete ein eigenes Büro im Hofgarten.

Michael Geringhoff, Wertheimer Zeitung

Quelle: https://www.main-echo.de/regional/kreis-main-tauber/was-soll-aus-unseren-jungen-leuten-werden-art-1763131